Pressegespräch von BARMER und KZV Hessen
Norbert Sudhoff, Geschäftsführer der BARMER Landesvertretung Hessen, Birgit Müller-Isselhorst, Leiterin von Haus Dammwald, Stephan Allroggen, Vorstandsvorsitzender der KZV Hessen (v.l.n.r.)Mundgesundheit bei Pflegebedürftigen – erleben wir eine neue Ära?
Friedrichsdorf, 22. August 2018 – Die gute Nachricht zuerst: Die Zahn- und Mundgesundheit hat sich in Deutschland kontinuierlich verbessert. Die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V, veröffentlicht 2016), hat gezeigt: Der Großteil der Kinder hierzulande ist kariesfrei und deutsche Senioren haben immer mehr eigene Zähne. Doch die Studie gibt auch zu bedenken: Infolge der demografischen Entwicklung verlagern sich Zahnerkrankungen ins hohe Alter und dabei hauptsächlich auf Menschen mit Pflegebedarf.
Viele gesetzliche Verbesserungen
„Das Thema Pflege ist von großer gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. Daher ist es wichtig, dass wir uns alle diesen Herausforderungen stellen und gemeinsam nach guten und praktikablen Lösungen suchen. Die zahnmedizinische Versorgung von Pflegebedürftigen ist dabei ein besonderer Teilbereich, den wir auf keinen Fall vernachlässigen dürfen“, so Norbert Sudhoff, Landesgeschäftsführer der BARMER in Hessen. Er verweist dabei auf den aktuellen BARMER Zahnreport, der sich in Analysen, Auswertungen und Befragungen schwerpunktmäßig der vertragszahnärztlichen Versorgung pflegebedürftiger Senioren widmet.
Auch Stephan Allroggen, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hessen, betont, wie sehr der Zahnärzteschaft dieses Thema am Herzen liegt: „Bereits vor acht Jahren hat die Zahnärzteschaft ihr Konzept ´Mundgesundheit trotz Handicap und hohem Alter` mit Lösungsvorschlägen der Politik vorgelegt. Aber in der Gesundheitspolitik braucht man einen langen Atem, damit Konzepte Schritt für Schritt auch umgesetzt werden.“
2010 ff: Was seitdem geschah …
Eine strukturelle Lücke im zahnmedizinischen Leistungskatalog konnte zum 1. April 2013 geschlossen werden: Damals wurde eine neue Position für die aufsuchende Betreuung von Pflegebedürftigen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen. Auch das Wegegeld für den Besuch von Patientinnen und Patienten wurde angepasst. Zum 1. April 2014 erfuhr die zahnärztliche Versorgung von Versicherten in stationären Pflegeeinrichtungen eine weitere Verbesserung: Vertragszahnärzte haben seitdem die Möglichkeit, einzeln oder gemeinsam Kooperationsverträge mit stationären Pflegeeinrichtungen abzuschließen. Von den rund 850 Pflegeheimen in Hessen haben 325 Einrichtungen bis Ende Juni 2018 insgesamt 373 Kooperationsverträge abgeschlossen.
Dr. Bernhard Zahn bei der zahnmedizinischen Betreuung von Heimbewohnerinnen
Fotos: Jörg Pompetzki/KZVH
Mehr Behandlungen von Pflegebedürftigen
„Mit Einführung der neuen und modifizierten Gebührennummern ist die Versorgung von pflegebedürftigen Senioren nachweislich verbessert worden“, so Norbert Sudhoff. Bei 15,1 Prozent der vollstationär gepflegten Versicherten in Hessen wurden im Jahr 2016 zahnärztliche Kontakte abgerechnet – eine Steigerung um 15,8 Prozent gegenübet dem Jahr 2013. Im gleichen Zeitraum wurden auch mehr zahnärztlichen Therapieleistungen abgerechnet. Eine Steigerung von 6,3 Prozent – im bundesweiten Vergleich der beste Wert.
„Die zahnärztliche Behandlung an sich kann für viele Pflegebedürftige eine Belastung darstellen“, darauf weist Stephan Allroggen hin. Und auch die behandelnden Zahnärzte sind gefordert. „Aufgrund der Bedingungen vor Ort und der Multimorbidität der Pflegebedürftigen sind die Diagnostik und eine anschließende Therapie oft nur unter erschwerten Bedingungen machbar.“
Unterstützung bei der täglichen Mundhygiene
„Die Möglichkeit von Kooperationsverträgen hat den Zugang unserer Bewohnerinnen und Bewohner zur vertragszahnärztlichen Behandlung erheblich verbessert“, so Birgit Müller-Isselhorst, Leiterin des Pflegeheims Haus Dammwald in Friedrichsdorf. Doch bei allen Verbesserungen in der Versorgung bleibe immer noch ein großer Teil der Verantwortung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Pflegeheim. „Knapp 30 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf sind nicht mehr selbst in der Lage, ihre Zähne und Zahnprothesen eigenständig zu reinigen und zu pflegen. Sie benötigen Unterstützung bei der täglichen Mundhygiene“, betonte Müller-Isselhorst. Das Pflegepersonal ist deshalb auch gefordert, neben dem allgemeinen Gesundheitszustand auch die Zahngesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner im Blick zu behalten.
Seit 1. Juli 2018 haben Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen Anspruch auf Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen. Diese Leistungen können nicht nur im Pflegeheim, sondern auch bei einem Besuch zuhause oder in der Zahnarztpraxis in Anspruch genommen werden. Durch das verbesserte Leistungsspektrum soll das überdurchschnittlich hohe Risiko für Karies-, Parodontal- und Mundschleimhauterkrankungen für diesen Personenkreis gesenkt werden. Erkrankungen im Mund können auch negative Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit haben: Von Ernährungsmangel und Infektanfälligkeit, Verschlechterung eines Diabetes bis zur Erhöhung des Schlaganfallrisikos. „Mit den neuen Leistungen können wir die Mund¬gesundheit und damit auch die Lebensqualität der Pflegebedürftigen deutlich verbessern“, so Allroggen abschließend.
Infokasten1
Ergebnisse der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V)
Das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) untersucht im Auftrag der Bundes-zahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung seit 1989 die Mundgesundheit der Bevölkerung. Im Jahr 2016 stellte es die Ergebnisse der DMS V vor, hatte dazu etwa 4.600 Menschen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen in einer repräsentativen Erhebung befragt und zahnmedizinisch-klinisch untersucht.
Heute ist nur noch jeder achte jüngere Senior (65- bis 74-Jährige) zahnlos. Im Jahr 1997 war es noch jeder vierte. Jüngere Senioren besitzen im Durchschnitt fünf eigene Zähne mehr als noch im Jahr 1997. Weil immer mehr jüngere Senioren ihre eigenen Zähne länger behalten, ist bei ihnen die Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz möglich. Ältere Menschen mit Pflegebedarf haben eine höhere Karieserfahrung, weniger eigene Zähne und häufiger herausnehmbaren Zahnersatz als die gesamte Altersgruppe der älteren Senioren (75- bis 100-Jährige). Knapp 30 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf sind nicht mehr selbst in der Lage, ihre Zähne und Zahnprothesen eigenständig zu reinigen und zu pflegen. 60 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf sind nicht mehr fähig, einen Zahnarzttermin zu organisieren und dann die Praxis aufzusuchen.
Infokasten2
Chronologie der Gesetzgebung
1.4.2013:
Neue Position im GKV-Leistungskatalog für die aufsuchende Betreuung von Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderung und eingeschränkter Alltagskompetenz. Anpassung des zahnärztlichen Wegegeldes für Haus- und Heimbesuche (GKV-Versorgungsstrukturgesetz)
1.4.2014
Rahmenvereinbarung zwischen Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband für den Abschluss von Kooperationsverträgen zwischen Zahnärzten und stationären Pflegeeinrichtungen. In den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) wurden entsprechende Gebührennummern aufgenommen bzw. geändert
1.7.2018
Neue präventive Leistungen nach § 22a Sozialgesetzbuch V für die zahnärztliche Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung. Darunter fallen die Erhebung des Mundgesundheitsstatus, die Erstellung eines Mundgesundheitsplans, die Mundgesundheitsaufklärung und die zusätzliche Entfernung harter Zahnbeläge.
KZV Hessen: Regina Lindhoff, Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 069 6607-278;
Jörg Pompetzki, Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 069 6607-421, Fax -388, E-Mail: presse@kzvh.de
BARMER Hessen: Brigitte Schlöter, Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 0800 333004 352-230, Fax -234